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Falsches Nachdenken

Nachdenken tut unserer Entscheidungsfähigkeit nicht immer gut. Eine bestimmte Art des Grübelns kann uns sogar lähmen und runterziehen. Wie ist das möglich?

© Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz 2023
© Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz 2023

Bestehen nicht Entscheidungstechniken zum größten Teil aus Denken? Da heißt es, eine Entscheidungsfrage sauber zu formulieren, Informationen zu sammeln und zu sortieren, Argumente abzuwägen und zu gewichten. Egal ob Chancen-Risiken-Tableau oder Kriterienbewertung: Das Nachdenken ist ein zentrales Element solcher Entscheidungs-Methoden.


Was ist der Unterschied zwischen konstruktivem und schädlichem Nachdenken? Welche Aspekte machen das Negative aus?

Global statt konkret

Negative Effekte von Nachdenken lassen sich insbesondere beobachten, wenn die Gedanken allgemein und global bleiben. Dann lassen sich keine Ansatzpunkte für eine Problemlösung erkennen, und wir verbleiben in einer vagen Jammerhaltung.

Nehmen wir als Beispiel Meltem, eine 34jährige Angestellte in einem Dienstleistungsunternehmen. Seit einer Umstrukturierung im letzten Jahr ist sie mit ihrer Arbeit unzufrieden, denn gerade die kundennahen Aufgaben, die ihr Freude gemacht haben, sind woanders hingekommen. Außerdem verdient sie weniger als ihr Freund und das wurmt sie.

Globale Gedanken wären: Meine Firma behandelt ihre Mitarbeitenden schlecht. Wir sind hier nichts wert. Vor der Reorga war meine Arbeit angenehmer. Ich sollte beruflich vielleicht mal etwas ganz Anderes machen.

Konkrete Gedanken sähen so aus: Die Kundenkontakte fehlen mir sehr. Ich sollte den internen Stellenmarkt erkunden, wo es freie Stellen mit kundennahen Aufgaben gibt. Die Personalabteilung kann mir sagen, ob ich für eine Teamleitung in Frage komme. Ich könnte mich nach Weiterbildungsmöglichkeiten erkundigen.

Gedankenkarussel statt Struktur

Schädliches Grübeln hat oft die Form von Gedankenkreisen. Nach und nach bedenken wir verschiedene Aspekte des Problems, landen aber schließlich wieder genau da, wo wir angefangen haben.

Bei Entscheidungstechniken gibt es dagegen einen strukturierten Ablauf. Man dreht sich nicht im Kreis. Beispielsweise wird anfangs eine Entscheidungsfrage formuliert und danach die Zielkriterien definiert. Jeder Schritt wird bis zu Ende gedacht, und danach steht er fest. Also die Entscheidungsfrage ist dann festgelegt und bleibt bis zum Beschluss stehen. Die Zielkriterien werden gesucht und priorisiert, und danach ist das auch erledigt.

Ein Beispiel für das Gedankenkreisen: Wie langweilig ist doch die Arbeit geworden, seit die Kundenkontakte ausgelagert wurden. Wie konnte die Firma sowas beschließen? Uns hat man nicht gefragt. Ist ja typisch, das wird oben entschieden. Oder noch schlimmer: das war diese Beraterfirma. Dafür hat man ja Geld übrig! Ich verdiene seit fünf Jahren das gleiche. Mein Freund hat deutlich mehr auf dem Konto. Aber Geld ist nicht alles. Eigentlich ist es mir wichtiger, im Arbeitsalltag zufrieden zu sein. Was war das früher lebendig, als die Kunden noch in unserem Team anriefen! Doch das ist vorbei. Wie konnten sie unsere Aufgaben derart blöd zurückstutzen...

Eine strukturierte Entscheidungstechnik würde dagegen so anfangen:
1.    Festlegen der Entscheidungsfrage, beispielweise: Wie kann ich zufriedener mit meiner Arbeit werden?
2.    Bestimmen meiner Zielkriterien: Was muss gegeben sein, damit ich zufriedener bin?
Beispielsweise: Ich habe Kundenkontakt. Ich habe mehr Einfluss. Ich verdiene mehr.
3.    Welche Wege und Möglichkeiten gibt es, das zu erreichen?

  • Ich mache den Verbesserungsvorschlag, die Kundenbetreuung wieder zu integrieren.
  • Ich bewerbe mich auf eine Stelle in dem neuen Kundenteam.
  • Ich bewerbe mich auf eine Teamleitungsposition.
  • Ich bewerbe mich für ein Projekt, wenn möglich im Themenbereich Kundenkommunikation.
  • Ich wechsele in eine andere Firma, wo es Kundenkontakte und mehr Gehalt gibt.
  • ...

Merken Sie, wie sich der Schwerpunkt verschiebt? Die strukturierten Fragen betreffen das, was Meltem tun und verändern kann, nicht mehr die derzeitige unangenehme Lage.

Stabile negative Attribution

Negativ wirken Gedanken nämlich besonders dann, wenn sie sich mit Aspekten befassen, die stabil und nicht veränderbar sind. Die Welt ist böse und wir sind zu schwach.

Meltem könnte z. B. denken: Meine Firma ist einfach nicht mitarbeiterorientiert. Frauen werden im Beruf benachteiligt. Ich bin nicht durchsetzungsfähig.

Wenn ein solches Grübeln uns immer weiter in den Sumpf hineinführt, warum halten wir dann daran fest? Beim genaueren Hinsehen gibt es tatsächlich verdeckte Vorteile.

Grübeln als Vermeidungsverhalten

Solange wir den deprimierenden Gedankenkreiseln nachhängen, brauchen wir nämlich nichts weiter zu unternehmen, als uns zu bedauern. Wir vermeiden arbeitsreiche Veränderungsschritte und das Risiko eines Misserfolgs.

Mal angenommen, Meltem würde mit den Gedankenkreisen aufhören und aktiv werden. Was könnte geschehen? Sie spricht als erstes mit ihrer Chefin, wie die Chancen stehen, die Kundengespräche wieder in diese Abteilung zurückzuholen. Die Chefin wirft ihr unrealistische Ansichten vor. Dann fragt sie nach Aufstiegschancen in der Firma. Die Chefin will sie aber gerne im Team behalten und versucht, ihr diese Gedanken auszureden. Frust!

Nachdem sie sich beruhigt hat, erkundigt sie sich in der Personalabteilung nach freien Stellen mit Kundenkontakt und der Möglichkeit einer Führungsposition. Sie bekommt Stellen genannt, schreibt Bewerbungen, muss zu Vorstellungsgesprächen... Angst und Unsicherheit!

Für eine Führungsbewerbung verlangt die Firma eine nebenberufliche Weiterbildung. Lernen am Abend und am Wochenende! Wird sie das schaffen?

Da erscheinen die früheren Grübeleien fast irgendwie beruhigend und gemütlich!

Paradoxe Belohnungseffekte

Es wird nicht nur Anstrengung, Risiko und Angst vermieden, sondern negative Gedankenkreise ziehen sogar noch Belohnungen nach sich.

Zum einen bekommen wir soziale Unterstützung, wenn es uns so schlecht geht – zumindest eine Zeitlang. Zum anderen sind in der Fachliteratur auch körperlich-emotionale Verstärkungsmechanismen beschrieben worden.

Das Grübeln beginnt, wenn uns etwas an das Problem erinnert. Wir sind anfangs beunruhigt, bedrückt oder ärgerlich. Die Gedankenschleifen, meist ja auch mit allgemeinen Inhalten und stabilen Ursachenzuschreibungen, sind ein Ritual, was uns beruhigt. Wir denken uns die Welt, wenn auch nicht schön, so doch stabil und einfach. Unruhe und Ärger gehen zurück, Puls und Herzfrequenz normalisieren sich, der Körper fühlt sich wieder besser an.

Diese Sequenz „unangenehmer Reiz – Grübeln – Beruhigung“ stellt tragischer Weise eine Belohnungsfolge dar. Auf das Grübeln folgt, irgendwann, die Beruhigung. Diese Belohnung stärkt die neuronalen Verbindungen, und das Grübeln nimmt zu.


Wenn wir stattdessen zu Problemlösungen und Entscheidungen kommen wollen, dann gilt es, das falsche Nachdenken in grüblerischen, allgemeinen Gedankenkreisen zu beenden. Sagen Sie sich laut „Stop!“, machen Sie sich einen Tee oder gehen Sie mal kurz um den Block. Schaffen Sie Platz in Ihrem Kopf für konstruktives, strukturiertes und konkretes Denken!


Vertiefungsliteratur: 

Funk, Ehring (2023): Gefangen im Gedankenkarussell? Wie Grübeln und psychische Gesundheit zusammenhängen. Report Psychologie.

Wadström (2019) Kopfzerbrechen. Wenn das Grübeln zur Belastung wird. Junfermann Verlag.

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